Was vom Tage übrig blieb

Taschen und Tüten auf dem gefliesten Boden voller Folien, Geschenkpapier, Schleifen. In der Ecke am Kühlschrank steht ein Turm aus Vorratsdosen, klares Glas und buntes Plastik, aus dem Keller hochgeholt, sagst Du. Auf der Arbeitsplatte der Unterschränke und dem Küchentisch stehen silberne Platten, ausgelegt mit etwas was wie Zeitungspapier aussieht, aber keines ist, halb bedeckt mit Alufolie, die gute, dicke, nicht die, die man sich selbst kauft, sondern die, die in Restaurants verwendet wird, wenn man sich etwas einpacken lässt, darunter Canapés, Bagels, Toastbrote und Wraps, belegt und gefüllt mit Gouda und Radicchio, Thunfisch und Tomaten, Bündner Fleisch und Camembert, Rucola und Parmigiano, ein Dip aus Tomaten für die Bruschetta, der Saft steht in der Garage, sagst Du, oder im Keller, musst Du mal schauen. Die Küche ist ein Chaos, Du mittendrin, gänzlich schwerelos, zufrieden. „Was vom Tage übrig blieb“ weiterlesen

Der Sturm und das Grau

Der Magen verkrampft, der Kopf schwer, die Augenlider kleben fest, versperren die Sicht, versperren den Weg. Ein Blick nach draußen, es stürmt, es nieselt, Passanten mit Brötchentüten, die in deren Händen zu nassem Matsch werden, hochgestellte Krägen, Schals, verbogene Schirme. Die Augen zusammengekniffen, schnellen Schrittes, kein Rennen, forsches Gehen. Der Himmel ein stählernes Grau, unterbrochen von weißen Wolken aus den Schloten der Heizungen und schwarzen Flecken, Vögeln, die einen Unterschlupf vor Wind und Regen suchen. Ich stelle meinen eigenen Kragen hoch, ziehe die Mütze ins Gesicht und verlasse das Gebäude.

Die ersten Schritte fallen schwer, der Wind drückt mich zurück und überraschend Luft in meine Lunge, kurz stockt der Atem, nasse Menschen kreuzen meinen Weg, Schirmkiele suchen Augen, Pfützen suchen Lederschuhe. Ein kurzer Besuch beim Bäcker, mit dem Käsebrötchen in der Hand geht es nach rechts zur großen Brücke über den großen Fluss, zwischen denen der große Sturm noch ein wenig heftiger peitscht. Die Häuser weichen zurück, die Stadt wird leise, der Sturm wird laut.

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Nachtfeldein

Ich öffne die Wohnungstür und betrete das dunkle Treppenhaus. Von außen scheinen die Straßenlaternen hinein, grob erkennt man Schemen, Türeingänge, Treppenabsätze, das Geländer. Mehr braucht man eigentlich nicht, schließlich war man schon so oft hier. Dennoch schalte ich das Licht ein, verabschiede mich von M. mit unserem Handschlag, dem, der nur für uns beide vorbehalten ist, lang erprobt, doch nie so, dass es flüssig oder gar lässig wirkt. Ein paar letzte Worte werden gewechselt, dann laufe ich schon die ersten Treppenstufen hinab, M. schließt die Tür, er muss immer noch einmal nachdrücken, damit sie wirklich ins Schloss fällt. Ich laufe die beiden Etagen hinab, unten im Hausflur lehnt das Fahrrad an der Wand. Etwas unbeholfen stecke ich die Lichter an Lenker und Sattelrohr, das Licht schaltet sich im Treppenhaus ab. In Dunkelheit beende ich meine Arbeit, öffne die Haustür und rolle im nächsten Augenblick die Straße hinab.

Hinaus in die Nacht. Tagsüber hat es geregnet, die Straße glänzt noch ein klein wenig und hier und da stehen noch die Pfützen am Fahrbahnrand. Es fällt mir schwer diesen dunklen Stellen auf dem sowieso dunklen Asphalt auszuweichen, zu sehr ist mein Blick auf das gerichtet was um mich herum an mir vorbei zieht. Es ist spät. An der nächsten Kreuzung warte ich gemeinsam mit zwei Fahrzeugen auf Grün – es sollen die letzten Fahrzeuge sein, die mir auf diesem Weg begegnen. „Nachtfeldein“ weiterlesen

Herbst vor der Brauerei

Der Herbst riecht anders. Nicht viel, aber es ist ein deutlicher Unterschied da. Früher roch ich die Brauerei, die unweit meiner Wohnung in unregelmäßigen Abständen eine neue Charge produzierte und die sowieso schon schwere und feuchte Herbstluft in etwas erdiges, fast greifbares verwandelt hat. Ich erinnere mich daran, eine tiefe Nase nehmend, die Augen für einen Moment geschlossen, die Eile die Bahn zu erreichen für einen kurzen und doch endlosen Moment hinten an zu stellen, dort zu stehen, in der Neubausiedlung vor der Hauseingangstür an der Ecke Kreuzung Feld und Ellernbusch, atmen, spüren. Herbst. Dieser Geruch ist nun nicht mehr da, eine Ländergrenze mit vielen kleinen und großen Ortschaften und sicherlich auch der einen oder anderen Brauerei liegen dazwischen. Jetzt riecht der Herbst nach Nässe. Nach Schwere. Ich rieche das feuchte Laub auf den Gehwegen und an den Bordsteinkanten der Straßen, aufgehäuft nach und nach von ganz allein. Modrig. Erdig. Ich rieche die Natur und keine Brauerei. Und was gut klingt, fühlt sich fremd an. Jahrelang war da diese Brauerei, sie hat für mich den Herbst erst ausgemacht. Jetzt rieche ich nur noch Herbst. Wie lange muss man etwas erleben, um es als gegeben hinzunehmen?

Ich verlasse die Wohnung Hals über Kopf. Die Decken und Wände sind mir zu nah und draußen lockt das Gold der Welt. Ich überquere die Straße und schlendere durch kleine Gassen, die Gärten von Einfamilienhäusern trennen. Es ist ruhig, es ist still. Ich muss ein wenig auf meine Schritte achten, das nasse Laub ist glatt. Die Sonne strebt dem Horizont zu und strahlt als letzten Gruß eine massive Wolkenwand im Osten an, die bedrohlich wirkt, aber von mir weg zieht. Ich drehe mich um und gehe der Sonne entgegen. Ein Hund bellt, unsichtbar hinter einer Hecke im Garten. Er hat mich gewittert und begleitet mich nun kläffend am Grundstück entlang. Bleibt an der Grundstücksgrenze stehen, knurrt, bellt ein letztes Mal. Ich höre ihn nicht mehr, doch habe weiterhin das Gefühl, dass er mich durch das Dickicht der Hecke beobachtet. Ein Rauschen tritt aus der Stille der Welt hervor. „Herbst vor der Brauerei“ weiterlesen

Das, was wir zu Hause nennen

Eine Autobahn tief im Westen. Einer jener Autobahnabschnitte, die so unbedeutend sind, dass man sie aus den Verkehrsnachrichten nicht kennt, die treue und zuverlässige Arterien und Venen im Aderngeflecht der Straßen darstellen, klein, unbekannt, aber wichtig und eine echte Größe in der Region. Es ist Abend geworden, die Sonne im Rücken ist bereits zum großen roten Ball angewachsen, schickt sich an, den Horizont zu berühren und sich final hinter ihm zu verstecken. Heute wird man sie nicht mehr sehen. Heute wird nun dunkel. Heute ist nicht mehr lange heute, es wird Abend, es wird Nacht und schon ist das Heute ein Morgen geworden. In einem letzten Gruß explodiert der Himmel in rot und orange, in braun und gold. Und Licht wird zu rot, wird zu grau, wird zu schwarz. Wir jagen davon, stundenkilometerschnell. Vor uns liegt bereits das Dunkel.

V. und W. unterhalten sich im VW. Es geht um das sich Niederlassen, um das Bauen eines Hauses, das Gründen eines zu Hauses, des letzten, des finalen, des zweiten echten zu Hauses, nach dem Ort der Kindheit. „Ich habe gewisse Vorstellungen was mein Haus angeht, darum habe ich auch gar keine andere Wahl. Es hat mit der Familie zu tun, deswegen muss ich es selbst bauen. Jeder in meiner Familie hat sein Haus selber gebaut.“, lässt V. wissen. W. hört aufmerksam zu, lässt ein „Mhm.“, ein „Okay.“, ein „Aha?“, ein „Ach so!“ vernehmen, unterbricht seinen weiteren Monolog nicht und ich gehe im Fluss seiner Erzählung auf, fast hypnotisch. Seine monotone Stimme tut ihr übriges, ich schweife in Gedanken ab, nehme nicht mehr alle Details seiner Erzählung auf, verliere Wörter, Sätze, bis es ein Grundrauschen wird. „Das, was wir zu Hause nennen“ weiterlesen