Taschen und Tüten auf dem gefliesten Boden voller Folien, Geschenkpapier, Schleifen. In der Ecke am Kühlschrank steht ein Turm aus Vorratsdosen, klares Glas und buntes Plastik, aus dem Keller hochgeholt, sagst Du. Auf der Arbeitsplatte der Unterschränke und dem Küchentisch stehen silberne Platten, ausgelegt mit etwas was wie Zeitungspapier aussieht, aber keines ist, halb bedeckt mit Alufolie, die gute, dicke, nicht die, die man sich selbst kauft, sondern die, die in Restaurants verwendet wird, wenn man sich etwas einpacken lässt, darunter Canapés, Bagels, Toastbrote und Wraps, belegt und gefüllt mit Gouda und Radicchio, Thunfisch und Tomaten, Bündner Fleisch und Camembert, Rucola und Parmigiano, ein Dip aus Tomaten für die Bruschetta, der Saft steht in der Garage, sagst Du, oder im Keller, musst Du mal schauen. Die Küche ist ein Chaos, Du mittendrin, gänzlich schwerelos, zufrieden.
J. ist noch da und packt eine große Ration für sich ein, zehn Leute seien nicht gekommen, sagst Du mit Blick auf das ganze Essen, aber immerhin zehn von 70, das sei ein guter Schnitt. Ach der Kuchen!, fällt Dir ein, raschelst in der Alufolie am Herd bis Du zwei Bleche Kirsch- und Nusskuchen freilegst, davon musst Du auch etwas mitnehmen! J. blickt auf den Turm der Dosen und sucht eine neue, packt ein paar mundgerechte Stücke ein, hast Du von beiden?, hast Du genug?, sicher? Eine Umarmung, dann ist J. aus dem Haus, auf dem Rad in der Dunkelheit unterwegs, heimwärts, natürlich wohnt sie schon lange nicht mehr hier. Nur noch wir zwei, Du und ich, Papa ist auf der Jagdversammlung. Ich nehme ein Thunfischsandwich, beiße hinein und nehme Platz.
Die Küche ist ganz anders als früher, hat viele Iterationen des Wandels durchlaufen, der Tisch steht jetzt anders, schon seit vielen Jahren, doch immer wieder denke ich daran, wie es früher war. Als J. und ich klein waren warst Du immer daheim und hast Dich um uns gekümmert, mit uns gespielt und mit uns Uhren und Buchstaben lesen gelernt. Dann, als ich in die Schule kam, hast Du wieder Deine Arbeit aufgenommen, jenen Teil Deines Lebens, den du so geliebt hast, doch noch mehr hast Du uns geliebt, wolltest für uns da sein, doch nun war es Zeit für Dich wieder an den Schreibtisch zurückzukehren, erst nur ab und zu, dann halbtags, dann ganztags. Mittags in Deiner Pause bist Du heimgekommen und hast uns das Mittagessen gekocht, dann fuhrst Du wieder ins Büro. Haben wir Dir jemals gedankt, uns für diesen Aufwand erkenntlich gezeigt? Ich fürchte nicht. Vielleicht ist es Dir aber auch egal, ganz bestimmt sogar. Das ist lange her. Und heute stehst Du in der Küche zwischen Papieren und Folien und erzählst mir von Deinem allerletzten Arbeitstag.
Ich kann nicht alle einladen, man muss irgendwo einen Schnitt machen!, sagst Du und ich muss lächeln. Selbst heute sorgst Du Dich darum, jemanden ungerecht behandelt zu haben. Niemand wird sich darüber Gedanken machen oder gar ärgern, dass Du sie oder ihn nicht eingeladen hast!, versuche ich einzuwerfen, doch Du hörst mich gar nicht. Deine Zweifel stecken tief, so tief, dass auch ich sie nicht zerstreuen kann.
Du erzählst von der Rede Deiner Chefin, davon, dass die Hauswarte für Dich zusammengelegt haben und wie gerührt Du von allem warst, von den Aufmerksamkeiten, aber vor allem von den Gesprächen, die so viel länger dauerten, als Du es erwartet hattest. Schenkst Dir ein Glas Rotwein ein, nimmst Platz und blickst über die Speisen, die von Deiner Abschiedsfeier übrig geblieben sind. Zufrieden. Normalerweise kannst Du den Anblick von Chaos in Deiner Küche nicht ertragen, doch heute ist es anders. Heute strahlst Du. Die letzten Wochen und Monate waren schwer für Dich, es gab so viel zu tun und dann gesellte sich noch die Ungewissheit dazu, was kommt da auf Dich zu?, kannst Du ein Leben ohne Arbeit führen?, was ist mit den ganzen kleinen Gesprächen zwischen Kollegen, wie wirst Du ohne sie zurecht kommen? Jetzt sitzt Du da, ein kleiner Mensch zwischen all dem Essen, den Folien und den Dosen, mit geradem Rücken und klarem Blick, ein Glanz in Deinen Augen, doch nicht von Traurigkeit, nicht von Melancholie, sondern von Zuversicht, der matte Blick, er stand Dir nie, Du hast ihn abgelegt, Du sieht das Leben neu auf Dich zu kommen, kannst es kaum erwarten. Lange habe ich Dich nicht mehr so kraftvoll und agil gesehen. Die Zweifel über Zurückweisung einzelner Kollegen sind nur ein schwaches Glimmen im Vergleich zum Feuer, das Deine Augen sprühen. Du lässt zuversichtlich dieses alte Leben mit seinen Darstellern zurück und beginnst etwas gänzlich neues.
Ich freue mich so sehr für Dich.