Sicheren Schrittes, ganz anders als noch vor wenigen Tagen, durchqueren wir den gefliesten Vorraum, aus dem Licht, in das Licht. Mit einem Lächeln nicken wir dem Sicherheitsmann zu, der immer dort stand und immer dort steht, mal in der Sonne, mal im Schatten, aber immer in der kurzärmeligen und -beinigen dunkelgrauen Uniform. Er nickt zurück, ein verhaltenes Lächeln doch die Augen können nicht lügen: er erkennt uns nicht, sieht so viele von uns die so sind wie wir, und was sind wir schon für ihn, der Grund für seinen Job, ja sicher, doch sind wir ihm wirklich wichtig? Ich denke nicht. Und warum sollten wir auch? Wir treten ins goldene Licht, ich stoße die Glastür auf und lasse Dir den Vortritt. Links herum auf die Promenade.
Es ist nicht lange her, da stolperten wir diesen Weg entlang, doch jetzt, wo wir ihn zum letzten Mal nehmen, wirkt er vertraut, schon zig mal gesehen, schon zig mal begangen und die gleichen Leute sind immer noch da, die Touristen ohne Hemd mit faltiger und ledriger Haut, eine Kamera um den Hals, einen albernen Hut auf dem fast kahlen Schädel. Die Jogger, von Kopf bis Fuß in Lycra, Sonnenbrille und eine Schirmmütze tief ins Gesicht gezogen, das Smartphone in der verkrampften Hand, das weiße Kopfhörerkabel schwingt bei jedem schnellen Schritt hin und her und macht deutlich, dass die Anderen, diese Spaziergänger, Abstand halten sollen. Ich will Euch nicht sehen, schreit das Equipment. Die Gruppen junger Erwachsener, vielleicht auf Klassenfahrt, die Frauen in den Vierzigern, alleine, die junge Familie, allesamt selfiehungrig stehen sie vor dem Meer in mal mehr, mal weniger lächerlichen Posen. Was mag man über uns denken?, frage ich mich. Doch nicht zu lange, denn das hier heute ist unser Spaziergang. Unser letzter.
Wieso schenken wir ersten Male so viel mehr Aufmerksamkeit als letzten Male? Wieso kann sich jeder an das erste Fahrrad, den ersten Kuss, den ersten Job erinnern, doch blickt über den letzten Moment einer Serie so sehr hinweg? Keine Antwort auf diese Frage, aber heute lasse ich es wirken, sage ich mir, diesen Moment nehme ich ganz in mich auf. Wieso nicht jeden?, höre ich mich leise fragen.
Die Sonne steht bereits tief. Vermutlich wird sie bereits verschwunden sein, wenn wir wieder zurückkehren. Bis zum Faro und zurück, sagst Du. Rechts von uns tobt das Meer, so wild war es die letzten Tage nicht, so wild haben wir es nie erlebt, als würde es uns Lebewohl sagen wollen. Der Wind pfeift. Just a flip of the wirst and I’m waving you goodbye. Du greifst meine Hand und wir gehen auf den Leuchtturm am Ende der Promenade zu.
Vorbei an all den Restaurants und Bars, die wir nicht ausprobiert haben, vorbei an dem Shoppingcenter und dem Deutschen Ärztezentrum, frisch umgezogen, direkt am Eingang die Rolltreppe hoch und die Klingel an der Tür betätigen! Vorbei an den Rieseneidechsen, die den Namen der Insel tragen und in den letzten Sonnenstrahlen des Tages dösen, bevor sie sich wieder zwischen den Felsentrümmern verstecken und auf den nächsten Tag mit seinen wärmenden Licht warten. Vorbei an den Verkäufern von leuchtenden Jojos, die die beginnende Dunkelheit begrüßen. Vorbei an den Sandskulpturen und ihrem Schöpfer, der zum Ende des Tages den Homer, die Minions und das letzte Abendmahl mit einem feinen Wassernebel benetzt. Vorbei an den protzigen und strahlendweißen Hotels, riesigen Anlagen hinter hohen Zäunen, umgeben von Parks voller Palmen.
Ich nehme alles in mich auf, doch schon sind wir am Leuchtturm. Wir treten auf die rudimentäre Seebrücke aus Beton, ein paar wenige Meter führt sie uns ins Meer. Arm in Arm blicken wir dorthin, woher wir gekommen waren, die Sonne über dem Meer und der Promenade nun direkt vor uns. Ein tiefer Atemzug bevor es wieder zurück geht. Die Rückreise nach Deutschland beginnt hier und jetzt, wird mir klar. Jeder Schritt von nun an, wird mich nach Hause bringen. Ich nicke Dir zu, in Dir spielen sich dieselben Gedanken ab. Der letzte Tag des Urlaubs, ein wenig Freude auf daheim, doch viel mehr Wehmut das hier zurück zu lassen, eine sanfte Melancholie, keine echte Traurigkeit, eher ein kurzer Moment der Klarheit, es gibt sie, in denen man alles plötzlich so viel deutlicher und schärfer und kontrastreicher und bunter sieht. Das hier ist so einer. Wir lassen das jetzt los, denke ich. Und kehren heim.
Und wir nehmen den ersten Schritt Richtung Heimat.