Herbst vor der Brauerei

Der Herbst riecht anders. Nicht viel, aber es ist ein deutlicher Unterschied da. Früher roch ich die Brauerei, die unweit meiner Wohnung in unregelmäßigen Abständen eine neue Charge produzierte und die sowieso schon schwere und feuchte Herbstluft in etwas erdiges, fast greifbares verwandelt hat. Ich erinnere mich daran, eine tiefe Nase nehmend, die Augen für einen Moment geschlossen, die Eile die Bahn zu erreichen für einen kurzen und doch endlosen Moment hinten an zu stellen, dort zu stehen, in der Neubausiedlung vor der Hauseingangstür an der Ecke Kreuzung Feld und Ellernbusch, atmen, spüren. Herbst. Dieser Geruch ist nun nicht mehr da, eine Ländergrenze mit vielen kleinen und großen Ortschaften und sicherlich auch der einen oder anderen Brauerei liegen dazwischen. Jetzt riecht der Herbst nach Nässe. Nach Schwere. Ich rieche das feuchte Laub auf den Gehwegen und an den Bordsteinkanten der Straßen, aufgehäuft nach und nach von ganz allein. Modrig. Erdig. Ich rieche die Natur und keine Brauerei. Und was gut klingt, fühlt sich fremd an. Jahrelang war da diese Brauerei, sie hat für mich den Herbst erst ausgemacht. Jetzt rieche ich nur noch Herbst. Wie lange muss man etwas erleben, um es als gegeben hinzunehmen?

Ich verlasse die Wohnung Hals über Kopf. Die Decken und Wände sind mir zu nah und draußen lockt das Gold der Welt. Ich überquere die Straße und schlendere durch kleine Gassen, die Gärten von Einfamilienhäusern trennen. Es ist ruhig, es ist still. Ich muss ein wenig auf meine Schritte achten, das nasse Laub ist glatt. Die Sonne strebt dem Horizont zu und strahlt als letzten Gruß eine massive Wolkenwand im Osten an, die bedrohlich wirkt, aber von mir weg zieht. Ich drehe mich um und gehe der Sonne entgegen. Ein Hund bellt, unsichtbar hinter einer Hecke im Garten. Er hat mich gewittert und begleitet mich nun kläffend am Grundstück entlang. Bleibt an der Grundstücksgrenze stehen, knurrt, bellt ein letztes Mal. Ich höre ihn nicht mehr, doch habe weiterhin das Gefühl, dass er mich durch das Dickicht der Hecke beobachtet. Ein Rauschen tritt aus der Stille der Welt hervor.

Ich erreiche die Autobahnbrücke. Oben angekommen stütze ich die Ellenbogen auf das Geländer und sehe mir die Fahrzeuge an, die laut und schnell unter mir entlang fahren, links auf mich zu, rechts von mir weg. Als Kind war ich manchmal hier, unweit von dieser Stelle habe ich meine erste Windhose gesehen. Fasziniert stand ich da, die Sonnenbrille meines Vaters sorgte für mehr Kontrast, so dass ich den aufgewirbelten Staub bis hoch in den Himmel wehen sehen konnte. Die Windhose stand an einer Stelle, bewegte sich nicht. Ein Gewitter zog auf, wir waren von Gewitterwürmchen bereits übersäht. Schnell fuhren wir heim, ich blickte noch ein paar Mal über meine Schulter. Die Windhose bewegte sich kein Stück.

Ich wende mich ab. Ich sehne mich plötzlich danach zu Hause zu sein. Nicht einfach nur in der Wohnung, nein, wirklich und echt zu Hause. Ein Gefühl von Wärme, von Orange, eine weiche Decke, ein Tee, ein Buch, indirektes Licht. Ein Ohrensessel. Keine Musik, kein Radio, nur das Ticken der Uhr und die Geräusche einer leeren Wohnung. Den Blick nach Draußen gerichtet, doch nur um nach Innen klarer sehen zu können.

Eine kleine Familie verlässt ihr Haus, Vater, Mutter, Tochter, es geht ins Restaurant. Ein Mädchen geht mit einem Hund spazieren, Leine in der einen, Smartphone in der anderen Hand. Ein Kiosk, der mit frischen Brötchen am Sonntag wirbt. Ein durchnässter Zettel an einer Laterne, Kater entlaufen.

In der Wohnung lege ich die Mütze ab, und stehe einen Moment im Flur. Schließe die Augen und stelle mir den Duft der Brauerei vor. Und ich fühle mich zu Hause.

Rausposaunen

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